Ausgangssituation
Der Streuobstbau umfasst nach dem in Österreich verbreiteten Verständnis (1), den landschaftsprägenden, extensiven Obstbau in vielfältiger Form: Streuobstwiesen, Obstbäume in Weingärten und auf Ackerflächen, markante Einzelbäume und Grenzbäume, Obstbäume am Straßenrand sowie Obstalleen und nicht zuletzt die Obstbäume der Haus- und Kleingärten. Streuobstbestände sind ein Teil der Kulturlandschaft, sie sind vom Menschen geschaffen. Ihr Weiterbestand ist nur gesichert, wenn sie gepflegt und bewirtschaftet werden.
In allen Fällen handelt es sich um großkronige Obstbäume, die extensiv gepflegt werden und die das Landschafts- und Ortsbild prägen. Typisch ist die Vielfalt an Obstsorten und die Mischung der Obstarten. Die Bestände sind durch das Vorhandensein unterschiedlicher Baumformen vom Viertel- bis zum Hochstamm und durch die Mischung aller Altersstufen charakterisiert.
Es handelt sich um Nutzökosysteme, in denen die Wertschöpfung aus der Obstproduktion und diversen Nutzungen der Fläche unter den Bäumen (Unternutzungen) erzielt wird. Die Produktion von Obst und die Unternutzung dienen sowohl als Einkommensquelle als auch der Selbstversorgung.
Im Sinne der Multifunktionalität der Kulturform ist er landschafts- und ortsbildprägend, identitätsstiftend, erhält Lebensräume für Pflanzen und Tiere, dient der Erholung und dem Tourismus.
Der Bestand an Streuobstbäumen in Österreich betrug im Jahr 2012 ca. 4,5 Mio. Bäume (2). Die Altersstruktur der Bestände ist durch eine starke Überalterung und einen allgemein schlechten Pflegezustand gekennzeichnet. Rund 90 % der Bäume sind älter als 30 Jahre, der größte Teil davon jedoch älter als 50 Jahre (die letzten großflächigen Auspflanzungen erfolgten zwischen 1945 und 1960). Im Zeitraum 2012 bis 2020 ist von einem Rückgang auf ca. 4,2 Mio. Bäume auszugehen. Allein auf Grund der Überalterung, mangelnden Pflege und der zu geringen Nachpflanzungen, ist bis 2030 ein Rückgang des Baumbestandes auf ca. 3,6 Mio. Bäume zu erwarten. Da jedoch nach wie vor Bestände auch aktiv gerodet werden, ist ein Absinken des Bestandes auf unter 3 Mio. Bäume bis 2030 sehr wahrscheinlich.
Diesen Faktoren und ihren Zusammenhängen wurde im vorliegenden Beitrag Rechnung getragen und ein Szenario entwickelt, in dem davon ausgegangen wird, dass der Rückgang der Bestände (3) gestoppt werden kann. Voraussetzung für das Erreichen der Vision für 2030 ist die Umsetzung einer nationalen Strategie zur Erhaltung von Streuobstbeständen (4), die auch mit ausreichenden finanziellen Ressourcen ausgestattet ist.
1 ARGE Streuobst (2017): Streuobst eh klar? Von der Nützlichkeit einer Definition.- Besseres Obst, 10-11-2017.
2 Siehe oben
3 Bader R.; Holler C.; (2013): Extensiver Obstbau in Österreich - Darstellung der Entwicklung des Baumbestandes anhand statistischer Erhebungen seit 1930.- Statistische Nachrichten 4/2013, Statistik Austria, Wien,
4 Siehe auch: Autorenkollektiv: Bundesstrategie STREUOBST Rahmenbedingungen und Maßnahmenkatalog, im Auftrag des BMNT, 2017

„Vision 2030“ - ein positives Zukunftsszenario
Bewußtseinsbildung:
1. Im Zuge von vielfältigen Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und Wissensvermittlung wurde im Zeitraum 2020 - 2030 das Wissen über Streuobstökologie, Obstbaumpflege, Sortenvielfalt und Streuobstnutzung bei den BewirtschafterInnen verankert und damit die Begeisterung für die Erhaltung der Bestände entfacht. Zielgruppen waren hierbei sowohl die BäuerInnen als auch alle GartenbesitzerInnen im weitesten Sinne.
2. Das Rückgrat der Wissensvermittlung und Fachberatung bilden die ca. 1.000 ObstbaumwärterInnen, die zwischen 2020 - 2030 auf Basis eines bundesweit anerkannten Lehrganges ausgebildet wurden und ihre Tätigkeit gewerblich, im Rahmen von landwirtschaftlichen Betrieben oder der Nachbarschaftshilfe sowie über ehrenamtliche Tätigkeiten in Vereinen, ausüben.
3. In der breiten Bevölkerung wurde gleichzeitig durch massive Öffentlichkeitsarbeit die Sympathie und das Verständnis für die Erhaltung der Streuobstkultur begründet und damit die Basis geschaffen, um Streuobstprodukte zu einem angemessenen Preis vermarkten zu können.
Faire Einkommensmöglichkeiten und neue Wege
1. Als Folge der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit werden 2030 im Rahmen von vielfältigen regionalen Initiativen verstärkt Streuobstprodukte hergestellt und überwiegend im Rahmen von regionaler Kreislaufwirtschaft vermarktet. Darüber hinaus hat Streuobst, als Basis für die Eigenversorgung mit gesunden ökologisch produzierten Lebensmitteln, eine Renaissance erfahren - Streuobstprodukte sind „schick“ geworden.
2. Ebenso wurden erfolgreich Modelle der Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land (vor allem CSA-Modelle) entwickelt. Diese Initiativen gehen über die rein landwirtschaftlichen Betriebe hinaus und erfassen erstmals auch größere private Obstgärten.
3. Auf Grund der steigenden Nachfrage nach dem wertvollen Rohstoff haben die Aufkäufer die Preise für Verarbeitungsobst aus zertifizierten Streuobstbeständen drastisch angehoben und sind bereit, diese, unabhängig von jährlich schwankenden Erntemengen und Weltmarktpreisen, anhaltend sicherzustellen.
Rückgang der Streuobstbestände gestoppt, Verjüngung umgesetzt
1. Die aktive Beseitigung von Altbaumbeständen konnte ab 2020 vollständig gestoppt werden.
2. Im Rahmen von regional organisierten Pflegeaktionen wurden mit Unterstützung von LW-Kammern, Gartenbauvereinen, Gemeinden, Ländern, usw. bundesweit bedeutende Teile der Altbaumbestände unter Beachtung ökologischer und obstbaulicher Aspekte instand gesetzt und damit deren möglichst langer Weiterbestand (im Rahmen der natürlichen Lebenserwartung) gesichert.
3. Zwischen 2020 und 2030 wurden ca. 1 Mio. junger Streuobstbäume nachgepflanzt und der nachhaltige Erfolg der Pflanzungen durch eine qualifizierte Pflege sichergestellt.
4. Durch die Nachpflanzungen und den Rodungsstopp konnte der österreichische Gesamtbestand bei ca. 4,2 Mio. Bäumen stabilisiert werden (halten des Standes von 2020). Der Jungbaumanteil beträgt im Jahr 2030 ca. 25 % und ist damit auch die Basis für die langfristige Sicherung der Bestände. Auch nach 2030 werden weiterhin ca. 40.000 Streuobstbäume pro Jahr nachgepflanzt um den natürlichen Ausfall laufend zu kompensieren.

Sortenerhaltung
1. Zwischen 2020 und 2030 wurden im Rahmen eines bundesweit koordinierten Aktionsplanes eine gezielte Sorteninventarisierung bei den verschiedensten Obstarten durchgeführt. Im Zuge dessen wurde Vermehrungsmaterial gewonnen und damit die Basis für die Sortensicherung in öffentlichen Genbanken sowie für die regionale Jungbaumvermehrung geschaffen. (5)
2. Der rechtliche Rahmen für das Inverkehrbringen von Pflanzgut von Obstgehölzen wurde zugunsten der Erhaltung der Vielfalt positiv angepasst und damit entsprechende unbürokratische und kostengünstige Erhaltungs- und Vermehrungsmodelle für die regionale Vielfalt ermöglicht. (6)
3. Seitens der Forschung wurden unter Beachtung der Herausforderungen von Klimawandel, Krankheitsdruck und modernen Bewirtschaftungstechniken zukunftsfähige Konzepte für den Streuobstbau entwickelt, die auf den verschiedenen Ebenen ansetzen (z. B. Unterlags- und Sortenwahl, Baum- und Erziehungsformen, Kulturführung, Ressourcenoptimierung, Unterwuchsnutzung, etc.)
4. Im Zuge der Auspflanzungen 2020 - 2030 wurden bereits bevorzugt Jungbäume aus der regionalen Vermehrung auf Basis der Sorteninventarisierungen und der wissenschaftlichen Erkenntnisse verwendet. Damit konnte der Verlust an Obstsortenvielfalt stark gebremst werden und wurde ein wesentlicher Beitrag zur langfristigen Sicherung der Obstsortendiversität geleistet.
Nachhaltige Kulturführung – Schaffen von Lebensräumen
1. In Verbindung mit der Erhaltung der Streuobstbestände konnten so ca. 50.000 ha überwiegend extensiv genutzte Flächen gesichert werden. Zum einen handelt es sich dabei um landwirtschaftlich genutzte extensive Mähwiesen und Weiden, zum anderen um naturnahe hausgartenartige Flächen oder sonstige naturnahe Mehrnutzungssysteme. Gemeinsam bieten diese eine dauerhafte Lebensgrundlage für eine artenreich Tier- und Pflanzenwelt und sind damit ein wesentlicher Mosaikstein zur Erhaltung der Biodiversität in Österreich. (7)
5 Eine solche Inventarisierung fand zwischen 2000 und 2005 in der Schweiz statt. Siehe unter https://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2005_10_1127.pdf
6 Aktuell benötigt jede Sorte, die vermehrt werden soll, einen Pflanzenpass. Nur Sorten, die vor 2012 auf die „Liste der allgemein bekannten Obstsorten“ nominiert wurden, können in Österreich ohne Sortenprüfung vermehrt werden. Alle anderen müssen ein Zulassungsverfahren durchlaufen, auch wenn sie im
Zuge von Sortenbestimmungen alter Obstbäume wiederaufgefunden wurden.Jegliches „In-Verkehr-bringen“ von Sorten ist an einen Pflanzenpass gebunden,
selbst wenn die Edelreiser nur getauscht werden und kein finanzielles Interesse dahintersteckt.
7 Beispiele für diese geänderte Bewirtschaftung:
• Schlagweises Mähen zur Erhaltung der Nahrungsgrundlage von Insekten, Vögeln und Kleinsäugern,sowie Schaffen von Rückzugsmöglichkeiten
• Mahd statt Mulchen: Dadurch wird der Wühlmausdruck entscheidend verringert, die Grasnarbe ist weniger verfilzt und Diversität des Unterwuchses hat zugenommen.
• Verbringung des Mähgutes wird in eigenen Vertriebs- und Fördermaßnahmen massiv unterstützt. So gibt es zum Beispiel Futterbörsen, in denen auch städtische Haushalte für ihre Heimtiere Heu aus Streuobstwiesen per Internet einkaufen können.
• Alte und absterbende Bäume werden nach Möglichkeit stehengelassen, um Totholzbewohnern unter den Insekten Platz zu geben.
• Nachpflanzungen können, müssen aber nicht – selbst auf geförderten Flächen – an derselben Stelle getätigt werden.
• Die Glatthaferwiese als wichtigste Pflanzengesellschaft im Unterwuchs in ihren verschiedenen Ausprägungen wird an ihren natürlichen Standorten gefördert und speziell geschützt.
• Mangelerscheinungen an den Obstbäumen werden nur im Bereich der Kronentraufe mit organischen Düngern Maßnahmen gesetzt
Die Autoren sind Christian Holler und DI Katharina Varandi-Dianat von der ARGE Streuobst.