Ein Besuch bei der Beringungsstation im nördlichen Weinviertel:
Es dauert grob eine Minute, dann ist der Aluminiumring am Bein des Vogels fixiert. Ein paar Handgriffe noch, dann ist das zierliche Tier auch vermessen. Benjamin Seaman bläst kurz ins Gefieder, um zu sehen, ob es gerade mausert; notiert. Ein Blick durch die durchsichtige Haut verrät ihm, wie es um die Fettreserven des Vogels steht.
Trotz Ruhe und Routine pocht der Puls durch die Federn. Kurz noch kopfüber in die Trichterwaage – die Heckenbraunelle ist mit ihre 21,3 Gramm gut unterwegs auf ihrem Weg ins Winterquartier – und schon darf sie durch die Rohrluke zurück in die Freiheit. Länger als ein, eineinhalb Minuten dauert das ornithologische Prozedere selten – und nur dann, wenn sich der Biologe unsicher ist und nachschlagen muss, etwa um das Alter eines Tieres möglichst genau zu bestimmen.
Gern gesehen: Besuch auf der Beringungsstation
Der Forscher ist merkbar zufrieden. Es ist ein prächtiger Herbsttag, Gelsen gibt es für heuer keine mehr, doch die Vögel sind hyperaktiv. Ein knappes Dutzend hat er heute Vormittag schon beringt, vermessen, wieder freigelassen. Seaman, den die KollegInnen hier draußen in der Beringungsstation liebevoll Benji rufen, wirkt sanft und hat das Gefühl längst auch in den Fingerspitzen.
Mit seinen 36 Jahren hat er bereits mehr Ringe vergeben als jeder Pfarrer.
An die 10.000 Vögel durfte er bislang erfassen. Den allergrößten Teil hier oben im Weinviertler Dreiländereck Tschechien-Slowakei-Österreich und unterstützt von der Stiftung Blühendes Österreich.
Zwischen Ende Juni und Ende Oktober kann man Seaman und seine ForscherkollegInnen vom Verein Auring jedes Wochenende besuchen, einschließlich Montag, und ihnen beim Beringen zusehen, Fragen stellen. Aktive Mithilfe ist keine vorgesehen, zumindest keine spontane. Denn helfende Hände für den Vogelfang werden zwar jede Saison gesucht, müssen sich aber für ein paar Wochenenden fix verpflichten – und sich davor ein Wochenende lang einschulen lassen.
Warum Vögel beringt werden
Die Bedeutung der Vogelberingung hat sich zuletzt gewandelt. Das liegt vor allem am technischen Fortschritt, denn GPS-Sender sind kleiner geworden, billiger, liefern präzisere Daten. Manchmal übertragen und verraten sie den genauen Standort eines Individuums sogar stündlich. Kein Vergleich zu einem einfachen Aluring, durch den wir bloß einen Startpunkt und im besten Fall einen Endpunkt wissen, wenn das Tier wieder gefangen oder gefunden und gemeldet wird.
„Das Hoffen auf Wiederfundmeldungen war groß zu Beginn der Entstehungsgeschichte der Beringung,“ sagt Seaman, „dieses verliert aber zunehmend an Bedeutung“. Heute stellt das Beringen eher eine Art Monitoring dar, durchaus vergleichbar mit der Vogelbeobachtung – aber mit vielen Vorteilen. So lassen sich bei beringten Individuen Doppelzählungen ausschließen und auch das Alter ist eindeutig zu bestimmen.
Wird in einem Gebiet konsequent beringt – hier in Hohenau ist das seit 1996 durchgehend der Fall – lassen sich außerdem fundierte Aussagen über das Vorkommen einzelner Arten und das Verhältnis von Alt- zu Jungtieren treffen. Oder ob Zugvögel ausbleiben.
Es ist durchaus von Vorteil, dass einzelne Tiere den ForscherInnen und Freiwilligen öfter ins Netz gehen. „Zirka 5 Prozent der gefangenen Vögel tragen Ringe aus den Vorjahren“, berichtet Seaman: „Wir wissen dadurch recht genau, wie alt welche Arten werden. Das ist bei Beobachtungen im Freiland schwer zu sagen und in Gefangenschaft verfälscht“. Weil die Tiere in Volieren vor Fressfeinden geschützt sind und stets genug Futter zur Verfügung haben.
Wie melde ich einen Fund?
Am häufigsten werden Ringfunde von anderen Beringungsstationen gemeldet, die selbst Tiere fangen und wieder freilassen. Die europaweit gesammelten Daten laufen in Österreich erst seit 2016 bundesweit über die nationale Vogelwarte von VetMedUni Wien und Uni Wien zusammen: im Austrian Ornithological Center (AOC) am Konrad Lorenz Institut für vergleichende Verhaltensforschung.
Fundmeldungen von Laien kommen vor allem von Birdwatchern und aufmerksamen Garten- und KatzenbesitzerInnen, denen an toten Vögeln der kleine Ring am Bein aufgefallen ist. Für alle Vogelfunde fragt die Österreichische Vogelwarte in einem PDF-Formular etwa auch den Zustand des Tieres ab, ob es wieder freigelassen wurde oder ob sich Verletzungs- oder Todesursachen rekonstruieren lassen: „Zum Beispiel Jagd, Gift, Fang, Kollision, ‘Umweltverschmutzung’, Beutegreifer, Krankheit, Witterung.“
Wer einen Fund meldet, erhält im Anschluss eine Mitteilung über die kompletten Beringungs- und Funddaten des Vogels. Wen würde schließlich nicht interessieren, wo sich die Tiere herumgetrieben haben bevor sie am Balkon, im Garten oder am Vogelhaus aufgetaucht sind?
Die vorhin beringte Heckenbraunelle beispielsweise könnte an einem britischen Vogelhäuschen ebenso auftauchen wie in André Hellers Skulpturengarten in Marrakesch.