„Die Agrarpolitik darf nicht nur auf den Ertrag ausgerichtet sein, sondern muss alle Lebewesen schützen. So schützen wir auch den Menschen!“
Dieser Appell einer oberösterreichischen Naturfreundin an das EU-Parlament bringt das Thema Landwirtschaft und Biodiversität auf den Punkt und hoffentlich auch einige EU-Abgeordnete zum Nachdenken. Die Zeit drängt!
"Werde laut!"
Unter dem Motto „Werde laut!“ riefen europäische BirdLife-Partner unter der Leitung des NABU Deutschland Naturfreundinnen dazu auf, Sprachnachrichten mit ihren Anliegen zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an ihre EU-Parlamentarier zu schicken.
Wir wollten den mächtigen Agrarlobbies Stimmen entgegenstellen, die für die Natur und die Artenvielfalt und eine naturverträgliche Landwirtschaft eintreten.
„Mir ist die Natur ein großes Anliegen! Die EU muss jetzt handeln mit einer naturnahen Agrarpolitik!“, „Ich bin jetzt 25 und ich hab jetzt schon das Gefühl, das die Artenvielfalt immer weniger wird! Kann ich meinen Kindern noch die Feldlerche in echt zeigen?“, so weitere an die EU-Parlamentarier gerichtete Nachrichten.
Doch hätte das EU-Parlament im fernen Strassburg die österreichischen Feldlerchen retten können?
Von den EU-Büros auf die Felder
Die Gemeinsame Agrarpolitik ist einer der wesentlichen Pfeiler der EU. Viele Milliarden Euro fließen als nahezu bedingungslose Direktzahlungen an die LandwirtInnen sowie als leistungsbezogene Zahlungen in die ökologisch etwas effektivere Ländliche Entwicklung. Alle sieben Jahre wird über die Mittelverteilung für die nächste Förderperiode verhandelt – immer wieder ein zähes Ringen zwischen verschiedenen Interessen. Nun steht die Entscheidung über die Periode 2021-2027 an.
Das Europäische Parlament ist neben der Europäischen Kommission und dem EU-Rat, der aus den Regierungschefs und den zuständigen MinisterInnen besteht, der dritte Partner bei den „Trilog-Verhandlungen“, die zur endgültigen GAP-Verordnung führen werden. Bisher hat sich das EU-Parlament oft als zugänglicher für Umweltschutzfragen gezeigt als der Rat. Für die Entscheidungsfindung war es umso wichtiger, den ParlamentarierInnen aufzuzeigen, dass eine naturverträgliche Landwirtschaft für zahlreiche EU-BürgerInnen ein aufrichtiges Anliegen ist! Herzlichen Dank daher an alle, die vor den von 19. bis 23. Oktober 2020 stattgefundenen EU-Verhandlungen im Rahmen von „Werde laut!“ ihre Stimme erhoben haben!
Feldlerche © Marton Berntsen, Sanglerke, (Alauda arvensis), CC BY-SA 3.0
Feldlerche © Marton Berntsen, Sanglerke, (Alauda arvensis), CC BY-SA 3.0
Strategien der EU-Kommission
Die EU-Kommission hat bereits vor der letzten EU-Wahl unter Juncker einen Entwurf für die GAP-Verordnung erarbeitet. Seine Nachfolgerin Von der Leyen präsentierte Ende 2019 nicht nur den ambitionierten „Green Deal“ zur Klimakrise und Biodiversitätskrise, sondern ging noch weiter:
Im Mai 2020 wurden die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 und die „Farm-to-Fork“-Strategie („Vom Hof auf den Tisch“) der EU-Kommission vorgelegt, in denen nachhaltige Landwirtschaft mit ausreichend Platz und Budget für die Natur gefordert und auch 10 % Biodiversitätsflächen als Ziel festgelegt werden.
Mutige Bekenntnisse zum Erhalt der Biodiversität, die von Naturschutz-NGOs wie BirdLife begrüßt wurden.
Erwartungsgemäß gab es aber auch Gegenwind: Zahlreiche Punkte wurden von den mächtigen Agrarlobbies und auch von Teilen des Rates, wie z. B. Österreichs Landwirtschaftsministerin Köstinger scharf attackiert. Es ist daher noch unklar, ob die vorgelegten Strategien auch vom Rat der EU angenommen werden.
Nicht zuletzt befinden wir uns seit März in einer ungeahnten Pandemie, die plötzlich die Prioritäten verschiebt – Gesundheit und Arbeitsplätze rücken in den Vordergrund. Von den zuständigen RegierungsvertreterInnen wird seit Monaten hart verhandelt, wofür und wohin die Gelder des „Europäischen Aufbauplans“ fließen sollen. BirdLife kämpft mit vielen anderen für einen „Grünen Wiederaufbau“, doch auch hier ist der Gegenwind vieler Lobbies stark.
Die jüngsten GAP-Verhandlungsergebnisse
Die Zwischenergebnisse von Ende Oktober, die seitens des EU-Parlaments und des EU-Rats erarbeitet wurden, verheißen nichts Gutes, die Gegner jeglicher Umweltambitionen haben sich ungeachtet der Aufrufe der „Werde laut!“-Kampagne durchgesetzt und setzen sich für eine Verwässerung gegenüber dem EU-Kommissionsvorschlag von 2018 ein!
Bereits im Vorhinein wurde von der Volkspartei, den Sozialdemokraten und den Liberalen in Geheimverhandlungen ein Kompromissvorschlag ausgehandelt, der von vielen als „tödliche Absprache“ bezeichnet wird und in der Folge durchgepeitscht wurde. Auch im EU-Rat gab es wesentliche Verwässerungen, die von den MinisterInnen wie z.B. Köstinger als Fortschritt verkauft wurden. Aus dieser Ausgangslage heraus beginnen in Kürze die Trilog-Verhandlungen.
Nationale GAP-Strategiepläne
In jedem Mitgliedsstaat werden parallel zu diesen Entwicklungen nationale GAP-Strategiepläne erarbeitet, in die nicht zuletzt auch die – bislang noch unverbindliche – EU-Biodiversitäts-Strategie einfließen soll. Hierzulande arbeiten auch BirdLife Österreich, der Umweltdachverband und andere NGOs mit. Zu den wichtigsten ökologischen Standbeinen zählen auch weiterhin das Agrarumweltprogramm „ÖPUL“ und die Förderung von Naturschutzprojekten.
Die Fachexpertengespräche sind nun nahezu abgeschlossen, obwohl die grundlegende EU-GAP-Verordnung sowie die individuellen Empfehlungsschreiben der EU-Kommission zu den nationalen GAP-Strategieplänen noch immer ausständig sind und die Entwürfe daher vielleicht noch erheblich geändert werden müssen. Wieder hängt also alles von den Verhandlungen auf EU-Ebene ab.
Abschluss im Frühling
Mit dem Abschluss des GAP-Trilogs und damit einer verbindlichen EU-GAP-Verordnung ist nicht vor Frühling 2021 zu rechnen, erst dann werden die nationalen GAP-Strategiepläne zur Bewilligung an die EU-Kommission geschickt. Voraussichtlich wird es daher nach zwei Übergangsjahren erst 2023 wirklich mit der neuen Periode losgehen.
Noch können wir kaum abschätzen, ob die neue GAP den Verlust der Biodiversität auf Äckern und Wiesen stoppen wird. Werden wirklich mindestens 10% der Kulturlandfläche für die Natur reserviert, EU-weit jährlich mindestens 15 Milliarden Euro für die Biodiversität zweckgewidmet und gelingt wirklich ein Umbau der bisher vielfach umweltschädlichen Subventionen hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft?
Kämpfen wir alle auch weiterhin gemeinsam für die Eindämmung der Biodiversitätskrise – gehen wir mit gutem Beispiel voran, erzählen wir allen Menschen davon, schreiben wir an Medien und Politik, denn so kann es nicht weitergehen! Vielen Dank!
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Über die Autoren:
Gabór Wichmann ist Vorstand von Blühendes Österreich sowie Geschäftsführer von BirdLife Österreich und Christoph Kuhn ist Projektleiter von BirdLife – dem Partner von Blühendes Österreich.