Nur für Nachteulen
4 Uhr in der Nacht. Genau jetzt laufen die Partytiger in den Discos unten im Tal vermutlich zur Hochform auf. Wir dagegen haben den Schlaf schon hinter uns. Freiwillig. Skandalös früh stehen wir auf einem Parkplatz beim Falkertsee, auf knapp 1.900 Meter Seehöhe. Mit hochgezogenen Schultern, weil die Kälte der Nacht in unsere müden Knochen kriecht. Wir wollen mit Biosphärenpark-Ranger Stefan Schmölzer auf den Falkert-Gipfel wandern und dort den Tagesanbruch erleben. „Das geht sich bequem aus“, beruhigt Stefan, „die Sonne erscheint exakt um 5:27 Uhr.“
Schatten in der Nacht
Wir gehen los. Die Welt reduziert sich auf den wippenden Stirnlampen-Lichtkegel vor unseren Füßen. Später schalten wir das Kunstlicht aus, um das Flair der Nachtwanderung intensiver zu erleben. Und tatsächlich: Die Augen gewöhnen sich schnell an die Dunkelheit. Auch der Vollmond ist unser Verbündeter. Er scheint derart hell, dass die Berge selbst in der Nacht Schatten werfen. Und dort im Mondschatten lauern die Stoffwechselendprodukte der Kühe. Nicht alle sehen wir rechtzeitig.
Grießnockerl-Berge
Bald zeigt sich am östlichen Himmel ein pastelloranger Schimmer. Im Zwielicht erkennen wir nun ringsum sanfte Gipfel. „Der Name ‚Nockberge‘ kommt von diesen runden Bergkuppen“, erklärt Stefan. „Sie heißen in der regionalen Mundart ‚Nocke‘. So wie bei der Grießnockerlsuppe.“
Landschaftspfleger, zwei- und vierbeinig
Die Wiesenhänge der „Nocke“ werden seit Jahrhunderten beweidet. Oder vom Menschen gemäht, zum Teil noch mit der Sense. „Mensch und Tier haben so die Waldgrenze etwa 200 bis 300 Meter nach unten gedrückt“, sagt Stefan. Das erklärt die baumlosen Wiesenkuppen der Nockberge. Und letztlich auch, warum sie ein Biosphärenpark wurden.
"Mensch und Tier haben die Waldgrenze etwa 200 bis 300 Meter nach unten gedrückt.“
Ursprünglich hatte man 1987 ja einen Nationalpark Nockberge ausgerufen. Der wurde allerdings international nie anerkannt. Es war einfach zu wenig unberührte Urlandschaft vorhanden. Also wechselten die Kärntner Nockberge das Naturschutz-Etikett: Seit 2012 sind sie ein Biosphärenpark, zusammen mit dem angrenzenden Salzburger Lungau. In dieser Schutzgebietskategorie wird das Wirtschaften des Menschen stärker einbezogen als in einem Nationalpark. Das passt besser zur Kulturlandschaft der Nockberge.
Die eine kommt, der andere geht
Nach einer guten Stunde erreichen wir den Falkert-Gipfel. Zehn Minuten später beginnt das Schauspiel, ewig gleich und doch jedes Mal anders: Erste Sonnenstrahlen spähen scheu über den Horizont – genau nach Fahrplan um 5:27 Uhr. Sie tauchten die Landschaft in warmes, weiches Licht – von den Gletschern der Hochalmspitze bis zu den Kalkgipfeln der Karawanken. Und in unserem Rücken verabschiedet sich gerade der Vollmond hinter einen Bergkamm. Gutes Timing – ein Auf- und ein Untergang zugleich!
Bio-Alarmanlage
Bald darauf verjagt der Tag endgültig die Nacht. Wir packen ebenso unsere Sachen und steigen übers Sonntagstal ab. Dort schlägt die Bio-Alarmanlage an: Die ersten Murmeltiere haben uns entdeckt. „Die sind den ganzen Sommer über mit Fressen beschäftigt“, erklärt Stefan. „Wenn die Jungtiere auf die Welt kommen, haben sie das Gewicht einer Zigarettenschachtel. Bis zum Herbst müssen sie sich so viel Winterspeck wie möglich anfuttern.“
"Junge Murmeltiere haben das Gewicht einer Zigarettenschachtel."
Beim weiteren Abstieg kosten wir Bergthymian, erfahren einiges über die Heilkraft von „Graupen“ (= Isländisch Moos) und Arnika. Und über die brenzlige Kombination von Johanniskraut und Sonnenlicht.
Haremsduft und Missetäter-Markierung
Schließlich zeigt uns Stefan noch den unscheinbaren Speik. „Diese Pflanze wurde früher wegen ihres intensiv-herben Duftes bis nach Asien und Afrika verschifft. Dort diente sie als Haremsduft und als Räucherware.“ Auch heute nutzt man das Speikaroma noch, z. B. für Seifen. „Allerdings steht der Speik unter Naturschutz“, weiß Stefan. „Nur mehr zwei Bauern aus der Region haben die Berechtigung, ihn zu ernten.“
"Nach dem 'Speiksitzen' hat jeder gewusst: Der hat was angestellt."
Und er fährt fort: „Früher gab es bei uns den Brauch des ‚Speiksitzens‘. Bei kleineren Delikten hat man die Leute drei Tage in eine Kammer mit Speik eingesperrt, bei Wasser und Brot. Danach hat der Betreffende richtiggehend nach Speik gestunken. Da hat jeder gewusst: Der hat was angestellt.“
Sonnenenergie zum Anbeißen
Um sieben Uhr sind wir wieder unten beim Falkertsee. Dort wartet ein deftiges Frühstück auf uns. Während ich Bauernbrot, Speck und Äpfel vertilge, wird mir bewusst, woher unsere Nahrung eigentlich kommt: von der Sonne. Die schickt in eineinhalb Stunden so viel Energie zur Erde, wie die gesamte Menschheit in einem ganzen Jahr verbraucht. Einen Teil davon nutzen die Pflanzen mithilfe der Photosynthese für ihr eigenes Wachstum. Wird die Pflanze dann von einem Tier gefressen, geht die Energie auf den Pflanzenfresser über. Der wird später von einem Fleischfresser vertilgt. Und so wandert die Energie aus der Sonne in der Nahrungskette immer weiter – bis zum Speck auf meinem Frühstückteller. Schön, dass Sonnenenergie so gut schmeckt.
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Aktiv werden:
Bei dieser Veranstaltung des Biosphärenparks Nockberge kannst du die Sonne und ihre Auswirkungen hautnah erleben:
Sonnenaufgangswanderung am Falkert
Termine:
Jeden Mittwoch von 10. Juli bis 11. September 2019
Beginn: zw. 04:00 und 05:00 Uhr (je nach Termin)
Treffpunkt: Falkertsee, Reichenau
Mit dem Biosphärenpark-Ranger wanderst du vom Falkertsee hinauf auf den Falkertgipfel. Dort erlebst du, wie die ersten Sonnenstrahlen die Bergwelt rot färben. Nach dem Abstieg durchs Sonntagstal wartet ein Original-Sennersfrühstück beim Falkertsee.
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