Mit einem Schlag dämmert dir: Jetzt ist der Super-GAU eingetreten. Die Freunde, die dich spontan zur Wanderung mitgenommen haben: alle verschwunden. Du selbst: allein im Wald. Dein Standort: unbekannt. Ein Handynetz, um Hilfe zu holen: keine Spur. Und die Nacht: nicht mehr weit. Kurzum: Heute kommst du wohl nicht mehr heim, bevor es dunkel wird.
Stimmt schon: Mit einer halbwegs sorgfältigen Tourenplanung hätte es nie so weit kommen dürfen. Trotzdem ist jetzt der Ernstfall eingetreten. Was nun?
Raus aus der Komfortzone
Mit dieser Situation konfrontiert uns Tom Schwarz beim „Wildniskurs Basic“ der Alpenverein Akademie. Bei diesem viertägigen Seminar vertiefen wir nicht nur die Beziehung zur Natur durch intensives Erleben. Sondern wir lernen auch Survival-Techniken für Notfälle.
Übernachten mit Frischegarantie
Die heutige Aufgabe: Wir sollen eine Unterkunft im Wald bauen. Ohne künstliche Hilfsmittel. Nur aus Naturmaterialien, die wir vor Ort finden. Für zwei SeminarteilnehmerInnen, die in diesem Notunterschlupf dann übernachten können – ohne Schlafsack, ohne Isomatte. Nachttemperaturen um die zwei Grad werden dafür sorgen, dass sie dabei garantiert frisch bleiben.
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Schlafen im Wald: Darf man das?
In einer echten Notsituation, die einen zum Übernachten im Wald zwingt, wird wohl kaum jemand protestieren. Wer eine Übernachtung im Wald aber bewusst plant, sollte wissen: Grundsätzlich ist das in Österreich verboten. In solchen Fällen daher am besten am eigenen Grund übernachten, z. B. im Garten. Oder zuvor unbedingt den Grundbesitzer fragen, ob er es erlaubt!
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Passivhaus, 100 % bio
Eine der bewährtesten Möglichkeiten ist die „Trümmerhütte“, aka „Laubhütte“, aka „Wald-Schlafsack“. Sie kann aus unterschiedlichsten Naturmaterialien gebaut werden und hält Wind und Regen weitgehend ab. „Und gegen die Kälte reicht die eigene Körperwärme, um es drinnen warm zu haben“, verrät Tom. So ähnlich wie beim Passivhaus also.
Und so baust du eine Trümmerhütte:
1Keine Panik!
Trotz aufkommendem Stress gilt es, Ruhe zu bewahren. Und vor allem: Nachzudenken und sich umzusehen statt in blinden Aktionismus zu verfallen.
2Den besten Schlafplatz suchen
Denn zuerst muss der bestmögliche Schlafplatz gefunden werden. Die Zeit, die man dafür verwendet, ist gut investiert. Die Grundtugend dabei: pingelig sein. Lieber etwas länger nach dem optimalen Standort suchen, als später wesentlich länger schlecht liegen.
- Kannst du vorhandene Strukturen nutzen?
z. B. Felsüberhänge, Äste, Wurzelteller von umgestürzten Bäumen etc.
Dinge, die einem die Arbeit erleichtern oder die man gleich „fix fertig“ in die Notunterkunft einbeziehen kann, ersparen viel Arbeit. Oder um es mit Tom zu sagen:
„Die beste Unterkunft ist die, die man nicht bauen muss".
- Gibt es genügend Baumaterial?
Tom: „In einem Umkreis von 50 Metern sollte alles, was ich brauche, in großen Mengen vorhanden sein.“
- Ist Wasser in der Nähe?
Wasser sollte vom Schlafplatz mindestens 50 Meter entfernt sein. Schließlich will man möglichst trocken übernachten. Deshalb auch Schlafplätze in Mulden oder Gräben meiden! In ihnen könnte sich Wasser sammeln – von kalter Luft ganz abgesehen.
- Wie dicht ist der Wald?
Nur wenn der Wald aufgelockert ist, lässt er auch wärmende Sonnenstrahlen durch.
- Ist Platz genug für eine/mehrere Personen?
- Was stört am Untergrund?
z. B. Ameisen / Erdwespen:
Wer seinen Unterstand auf einem Ameisen-Highway oder bei einem Erdwespen-Unterschlupf baut, erlebt bestimmt Unvergessliches. Aber die Unterkunft ist dann zu vergessen. Und das Schlafabenteuer endet vorzeitig mit geschwollener Haut und Juckreiz. Im besten Fall.
Reh-Schlafplatz:
„Zu Reh-Schlafplätzen zieht’s einen beim Hüttenbauen magisch hin“, sagt Tom. Kein Wunder, schließlich haben die Tiere ein geschultes Auge für den optimalen Liegeplatz. Nur: Wer sich auf einen Reh-Schlafplatz legt, erwacht wahrscheinlich in Gesellschaft von einem Dutzend Zecken. Also vor dem Bauen lieber genau nach verräterischen Rehhaaren o. ä. am Boden Ausschau halten!
- Was droht von oben?
z. B. Steinschlag oder Falläste:
Gibt es oberhalb dürre Äste, die bei Sturm herunterfallen könnten? Das Eschensterben lässt grüßen.
3Probeliegen
Steine, die ins Kreuz drücken, Wurzeln, die piksen, oder ein vermeintlich waagrechter Untergrund, der sich als schiefe Ebene entpuppt: Was beim ersten Probeliegen schon stört, wird im Laufe der Nacht sicher nicht besser. Sobald die beste Schlaffläche feststeht, markierst du ihre genaue Lage und Abmessung, z. B. mit Ästen.
4Den Untergrund anpassen
Wenn’s beim Probeliegen zwickt, kann die Liegefläche meist noch etwas angepasst werden, z. B. mit einem stabilen Stock zum Graben. „Terra-Forming“ nennt das Tom.
5Baumaterial herbeischaffen
Und zwar viel. Richtig viel. Für jeden Arbeitsschritt.
„Wenn man glaubt, nun hat man wirklich genug Baumaterial, dann ist ein Drittel des Nötigen beisammen.“
6Die Unterkunft bauen
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- „Matratze“:
Die Liegefläche möglichst dick polstern, gegen Bodenkälte und Feuchtigkeit – z. B. mit Fichtenreisig, Laub oder Gras. Denn man liegt nur so gut, wie man sich bettet.
- Dachfirst:
Ein langer, dicker Ast dient als First. Er wird schräg abfallend aufgestellt: Am Fußende der Unterkunft liegt er am Boden auf, am Kopfende wird der First erhöht fixiert, z. B. mit stützenden Astgabeln. Und zwar nur so hoch, dass zwischen Kopf und First noch etwa eine Handbreit Platz ist, wenn man in der Hütte liegt. „Denn je mehr Luft über mir ist“, erklärt Tom, „desto mehr muss ich mit meiner Körperwärme aufheizen.“
- Skelett:
Dünnere Äste, dicht an dicht, bilden das Hütten-Skelett: Sie werden mit einem Ende in den Boden gesteckt, am anderen Ende im rechten Winkel an den First angelegt. So entsteht ein Dach, das vom First beiderseits schräg bis zum Boden abfällt. Über den Firstbalken sollten die Skelett-Äste nicht mehr als fünf Zentimeter hinausstehen, sonst fließt an ihnen entlang Regen ins Innere der Unterkunft.
- Außenisolierung:
Auf das Astskelett werden Rinde, Reisig, Pflanzenstängel, Blätter, Moos oder Erde gelegt – und zwar möglichst dick (ideal: eine Armlänge). Das isoliert und hält den Regen länger ab. „Je nach Dämmung übersteht man Nächte bis minus 20 Grad“, sagt Thomas.
- Füllmaterial:
Das Innere der Laubhütte wird mit wärmendem Pflanzenmaterial gefüllt, z. B. trockenem Gras oder Laub. Und zwar mit viel mehr, als man im ersten Moment glauben würde. „Wenn man das Gefühl hat, dass man selbst nicht mehr in die Unterkunft reinpasst, dann stimmt’s gerade“, meint Thomas. In dieses wärmende Material wühlt man sich dann in der Nacht hinein wie der Igel im Laubhaufen.
- Eingang verkleinern/abdichten:
Die Stirnseite der Unterkunft wird bis auf einen schulterbreiten Eingang verschlossen und ebenfalls dick isoliert. Ist man in die Hütte gekrabbelt, verschließt man den Eingang von innen mit Pflanzenmaterial.
„Und dann kann ich, obwohl es zuvor so ausgesehen hat, als ob das eine miserable Nacht würde, eine halbwegs gute Zeit verbringen.“
Know-how und Zeit statt Zaubertricks
Fazit: Um eine einfache Unterkunft aus Naturmaterialien zu bauen, braucht es keine Survival-Zaubertricks à la MacGyver (Kennt den noch wer???). Aber viel Zeit. Insofern hilft es, das Ganze vorher einmal geübt zu haben. Dann geht es im Ernstfall viel schneller.
Und wenn in Notsituationen nur wenig Zeit oder Material zur Verfügung steht? „Dann baut man ganz einfach, soweit man kommt und macht mit den vorhandenen Mitteln das Bestmögliche“, meint Thomas. Denn eine halboptimale Unterkunft ist immer noch besser als gar keine.
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Aktiv werden:
Termin: 21. – 24. Mai 2020
Ort: Weißbach bei Lofer, Ferienwiese des Alpenvereins
Bei diesem Kurs der Alpenverein-Akademie lernst du, dich in der Natur zu Hause zu fühlen anstatt gegen sie zu kämpfen. Du schärfst deine Aufmerksamkeit für Natur und Wildnis. Du lernst grundlegende Überlebenstechniken in der Wildnis und entwickelst dadurch deine Verbindung zur Natur weiter. Das kannst du beim Führen und Leiten von Gruppen in der Natur nutzen.
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