Ich liebe das Leben, aber ich schwärme für Totenköpfe. Allerdings nur, wenn es sich dabei um den größten Schwärmer Europas, den „Totenkopf“, handelt. Acherontia atropos steht nämlich auf meiner Liste der faszinierendsten Insekten ganz weit oben.
Kein Schmetterling hat mir jemals Angst gemacht, bis ich letztes Jahr einmal versuchte, einen Totenkopfschwärmer auf die Hand zu nehmen. Erst beim gefühlten, zehnten Versuch hatte ich den entsprechenden Mut beisammen. Warum, das erfährst du hier.
Carl von Linné verlieh dem Totenkopfschwärmer, auch kurz „Totenkopf“ genannt, mit der wissenschaftlichen Bezeichnung „atropos“ den Namen jener Schicksalsgöttin, welche in der Mythologie den Lebensfaden der Menschen durchschneidet und auch die Art ihres Todes wählt. Der von Laspeyres 1809 vergebene Gattungsname Acherontia kommt von Acheron, einem Fluss der Unterwelt.
Der Name bezog sich auf den damals herrschenden Aberglauben, dass dieser Falter Unheil bringt. Und dieser Ruf hielt sich lange. Selbst meine Mutter erzählte mir aus ihrer Kindheit, dass eines Nachts ein riesiger Totenkopfschwärmer durch das offene Fenster ins Zimmer kam und schwirrend das Licht umkreiste. Meine Großmutter soll ob der Aussicht, dass er vielleicht den nahen Tod eines Familienmitglieds ankündigte, geradezu in Panik geraten sein.
Da gerade in Häusern mit Schwerkranken oder Sterbenden nachts noch Licht brennt, kann ich mir schon vorstellen, dass man sich in früheren Zeiten ängstigte, wenn dann auch noch ein schwarzer Falter mit einer Zeichnung auf der Brust hereinschwirrt, welche auf verblüffende Weise einem Totenkopf ähnelt. Daher ja auch der deutsche Name.
Ich selbst fühle mich von solchem Aberglauben natürlich vollkommen frei. Und so war meine Freude nicht gerade klein, als mein lieber Freund und Schmetterlingsexperte Andreas Pospisil mich letztes Jahr einlud, um mir ein paar Eier des Totenkopfschwärmers abzugeben.
Ist dieser Falter doch mit seiner Flügelspannweite von bis 13 Zentimetern der größte Schwärmer Europas. Seine Raupen sind bizarre Schönheiten, deren Entwicklung nun mitzuerleben, mich geradezu in Hochstimmung versetzte. Dass ich mich vor dem „Totenkopf“ fürchten könnte, kam mir hingegen keinen Moment in den Sinn. Aber heute verstehe ich meine Großmutter ein wenig besser.
Ein Liebhaber des Giftigen
Wir malen Totenköpfe als Warnung auf Fläschchen, in denen wir giftige Chemikalien aufbewahren. Und tatsächlich ist auch der Totenkopfschwärmer mit Giften gut vertraut. Schließlich ernähren sich seine Raupen bevorzugt von giftigen Pflanzen, wie verschiedenen Nachtschattengewächsen. Darunter die Schwarze Tollkirsche (Atropa belladonna), eine wirkungsvolle Zutat der halluzinogenen „Hexensalbe“. Diese wurde angeblich einst von (selbst ernannten) Hexen verwendet, um sich in Tiere zu verwandeln oder fliegen zu können. Die giftigen Blätter der Kartoffelpflanze gehören zu seinen Lieblingsfutterpflanzen und am ehesten begegnet man dieser Art auch heute noch, wenn man im eigenen Kartoffelbeet die großen gelben Raupen entdeckt oder beim Umgraben plötzlich eine riesige Schmetterlingspuppe aus der Erdscholle fällt. Aber auch mit Liguster oder mit dem so oft kritisierten Schmetterlingsflieder (Buddleja) lassen sich die prächtigen Raupen großziehen.
Bissige Raupen
Auch sie erreichen eine stattliche Größe und zählen in Farbe und Größe zu den Prächtigsten Europas, wie man auf den Fotos im Vergleich zu meiner Hand gut erkennen kann. Allerdings ist bei dieser Übung Vorsicht geboten. Denn die Raupen haben kräftige Mundwerkzeuge und haben gleich einmal geprüft, ob sich nicht vielleicht auch meine Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger zur Nahrungsaufnahme eignet. Also die Köpfe beim Fotografieren besser in die andere Richtung orientieren. Wie alle Schwärmerraupen tragen sie ein Analhorn, das jedoch beim Totenkopf durch die vielen kleinen Fortsätze eine besondere Form aufweist. Die ausgewachsenen knallgelben Raupen mit dem violettstichigen V-Muster auf dem Rücken wirken fast wie aus Plastilin geformt, wie man auf den Fotos sehen kann.
Da ich die Eier im Februar bekam, musste ich allerlei Kletterpartien hinlegen, um an die einzige, immergrüne Ligusterhecke im Ort zu kommen, die ich zur Ernährung zur Verfügung hatte. Als sich schließlich die allermeisten Raupen in stattliche Puppen verwandelt hatten, wartete ich gespannt auf die Falter. Und das dauerte mit circa acht Wochen bei Zimmertemperatur doch unerwartet lang. Aber schließlich war es soweit und ich konnte es kaum erwarten, die Falter genauer zu bestaunen und für ein schönes Foto nach draußen zu setzen.
Drohende Falter
Aber sobald ich mich noch so vorsichtig näherte, lernte ich, dass die Totenköpfe meine Annäherung gar nicht schätzten. Schon beim ersten zarten Versuch, spreizte der erste Falter die dunklen Flügel auseinander, und streckte mir den sichtbar werdenden gelb schwarz-gestreiften „Hornissenleib“ mit seinen kurzen, dicken Fühlern entgegen. Gleichzeitig stellte er die mit Häkchen bewehrten Vorderbeine drohend auf. Mit ihnen kann er tatsächlich durch die Haut stechen, wenn man nicht aufpasst. Was mich dann aber wirklich irritierte, waren die sirenenartigen Pfeifgeräusche, die der Falter parallel zu seiner Drohgebärde zur Abschreckung einsetzt.
Also ich gebe es offen zu. Ich starrte auf diese zirpende Riesenhornisse mit dem Totenkopf auf der Brust und auf ihre hoch erhobenen Beine und fürchtete mich. Mein Großhirn säuselte geduldig, dass mir dieses Rieseninsekt nicht wirklich etwas tun kann, aber mein Stammhirn war trotzdem völlig anderer Meinung. Erst nach gefühlten zehn Versuchen hatte ich dann den Mut beisammen, ihn trotzdem von der Seite aus ganz vorsichtig auf die Hand zu nehmen.
Damit war auch der erste Schritt getan, um die schönen Falter zu füttern. Mit ihrem kurzen, kräftigen Rüssel können sie keinen Blütennektar aufnehmen, wobei sie zugleich als schwere, große Falter fürs Fliegen jede Menge Energie verbrauchen. Und so fallen sie in Bienenstöcke ein und naschen dort den warmen Honig. Vor den Bienenangriffen schützt sie vor allem ihr bienenähnlicher Geruch. So halten die Bienen den Eindringling zumindest meistens für einen zu groß geratenen Bruder und lassen den Totenkopf gewähren.
Liebessüchtige Paare
So konnte ich die Falter sehr gut mit gewärmtem Honigwasser füttern, was sie allabendlich in Paarungslaune versetzte. Noch nie vorher hatte ich erlebt, dass sich schon verpaarte Schmetterlingsweibchen Nacht für Nacht neuerlich verpaaren. Möglicherweise blieb ihnen beim Ansturm der Männchen auch nichts Anderes über. Und die Moral von der Geschicht: „Auch die unheimlichen Totenköpfe leben ohne Liebe nicht.“
Dir wünsche ich noch viel Vergnügen mit den Fotos und dem kleinen Video. Auch Andreas Pospisil hat ein schönes Video der fressenden Raupe gemacht.
Vielleicht begegnest auch du einmal diesem imposanten Falter oder seiner Raupe und bist darauf dann besser vorbereitet als ich. Glück braucht man dazu allemal. Denn da es seiner Puppe für eine erfolgreiche Überwinterung bei uns zu kalt ist, muss er jährlich einwandern und bleibt somit bis auf Weiteres ein seltener Gast in Österreich.
Über die Autorin: Marion Jaros arbeitet als Biotechnologin bei der Wiener Umweltanwaltschaft.