Bis zu 16 Zentimeter Flügelspannweite: Das Wiener oder Große Nachtpfauenauge ist ein beeindruckender Falter, mit einer spannenden Entdeckungsgeschichte. Unfähig, Nahrung aufzunehmen, lebt der Nachtfalter von Luft und Liebe.

Namensfindung mit Hindernissen

Als im Jahre 1763 der große Tiroler Universalgelehrte Johann Anton Scopoli den Schmetterling im Werk Entomologica Carniolica erstmals abbildete, war ihm mit Sicherheit nicht bewusst, was er vor sich hatte. Wie konnte es auch sein, dass ein so außerordentliches Tier nicht schon einen Namen hatte?

Deshalb glaubte Scopoli irrtümlicherweise, dass es sich um das bereits mehrere Jahre zuvor von Linné beschriebene Kleine Nachtpfauenauge (Saturnia pavonia) handelt. Ein einzigartiges Pech und gleichzeitig Glück der ebenso berühmten österreichischen Naturforscher Michael Denis und Ignaz Schiffermüller. Sie benannten daher den Falter 1775 erstmals in ihrem bahnbrechenden Buch zur Schmetterlingsfauna der „Wiener Gegend“ als Bombyx pyri, heute ist die korrekte wissenschaftliche Bezeichnung Saturnia pyri.

Der Vulgärname „Wiener Nachtpfauenauge“ lässt sich wohl vom Herkunftsort ableiten, ohne den beschriebenen Irrtum würde die Art heute „Kärntner” oder „Krainer Nachtpfauenauge“ heißen. 

Wo das Wiener Nachtpfauenauge nächtens fliegt

Verbreitet ist der Falter aber viel weiter, nämlich über den gesamten Mittelmeerraum bis nach Armenien und in den Iran. In Mitteleuropa ist er auf die warmen Gebiete beschränkt. So auch in Österreich, wo das Wiener Nachtpfauenauge vor allem in den südlichen und östlichen Bundesländern vorkommt. Im Norden und Westen wird es hingegen selten und fehlt in Vorarlberg völlig, während die wenigen Funde beispielsweise aus Tirol allesamt aus Südtirol stammen und meistens über die Bahn bis nach Innsbruck gelangen konnten.


Perfektes „Parfüm“

Das Wiener Nachtpfauenauge gehört zu der Familie der Pfauenspinner (Saturniidae), eine weltweit mit etwa 2.300 Arten vertretene Gruppe von sogenannten Nachtfaltern. In dieser Familie finden sich viele spektakuläre Arten wie Atlasspinner oder Kometenfalter. Auffallend sind die häufig auftretenden Scheinaugen auf allen vier Flügeln, die eine abschreckende oder zumindest ablenkende Wirkung auf potentielle Fressfeinde wie Vögel haben. 

Der ausschließlich nachtaktive Falter ist vor allem im Mai und in der ersten Junihälfte zu finden. Sein großes Ziel ist dabei die Partnersuche. Aber wie findet das Männchen in der Dunkelheit ein Weibchen? 

Dieses große Rätsel der Natur wurde von Jean-Henri Fabre (1823-1915), einem berühmten französischen Naturforscher und Literaten, sowie Zeitgenossen von Charles Darwin gelüftet. Im Jahr 1891 beobachtete Fabre, dass ein frisch geschlüpftes und in einer tuchumhüllten Glocke versperrtes Weibchen des Wiener Nachtpfauenauges am Abend etwa 40 Männchen anlockte. Nachfolgende Versuche zeigten, dass bei luftdichter Verwahrung kein einziges Männchen anflog. 

In vielen, über 6 Jahre andauernden, Versuchen konnte Fabre nachweisen, dass die Männchen das Weibchen weder sehen noch hören, dafür aber umso besser riechen konnten, und zwar mit den Fühlern! Die männlichen Fühler sind durch die extreme Fiederung und die damit einhergehende enorme Oberflächenvergrößerung die perfekten Antennen und reagieren bereits auf wenige Moleküle des „Parfüms“. So kann das Weibchen ein Männchen aus bis zu unglaublichen 10 km Entfernung anlocken! Erst 1959 wurden die vom Weibchen abgesonderten Botenstoffe von Biochemikern als Pheromone beschrieben.


Weight Watchers und „Birnenkur“

Im Gegensatz zu vielen anderen Schmetterlingen sind die Mundwerkzeuge des Wiener Nachtpfauenauges verkümmert und können keinerlei Nahrung oder Flüssigkeiten aufnehmen.

Die Falter leben sozusagen von Luft und für die Liebe.

Möglich wird das kurze und kaum über 10 Tage dauernde Falterleben durch die Fettreserven, die sich die Art im Raupenstadium zulegt. 

Nach erfolgreicher Begattung legt das Weibchen ab der folgenden Nacht etwa 200 bis 300 Eier an die Futterpflanzen ab. Die Raupe ernährt sich von Blättern einer Vielzahl von Laubgehölzen. Besonders gerne werden jedoch unterschiedliche Pflanzen aus der Familie der Rosengewächse wie Kirsche, Mandel, Pflaume, Schlehe, Apfel und die für die wissenschaftliche Namensgebung der Art verantwortliche Birne (Pyrus – Saturnia pyri).

Nach fünf teilweise sehr unterschiedlich aussehenden Raupenstadien erfolgt schließlich im Laufe des Sommers die Konstruktion eines braun gefärbten, seidenen Kokons und in diesem die Verpuppung sowie die Überwinterung im Puppenstadium. Gerade die erfolgreiche Besiedelung des urbanen Raumes über Obstbäume ist dem Wiener Nachtpfauenauge in vielen Regionen zum Verhängnis geworden.


Zunehmende Gefährdung

Laut Rote Liste gefährdeter Nachtfalter Österreichs gilt das Wiener Nachtpfauenauge als gefährdet. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die zunehmend intensivere Nutzung in Obstanbaugebieten, insbesondere der in den letzten Jahrzehnten stark vermehrte Einsatz von Spritzmitteln, hat zu einem drastischen Rückgang der Art geführt. 

Aber auch ehemals typische Hochstammobstbaumkulturen sind sowohl in der Landwirtschaft als auch in privaten Gärten vielfach verschwunden. Sie waren jedoch der perfekte Kleinlebensraum der Raupen. Und ja, zahlreiche ehemalige Habitate wurden ganz einfach verbaut oder mussten Infrastrukturmaßnahmen weichen.
Zu Letzteren zählt auch die Problematik der Lichtverschmutzung, mit dem Effekt der tausendfachen Störung, Anlockung und Vernichtung von Faltern. Es hilft also wenig, dass die Art in vielen Regionen Österreichs gesetzlich geschützt ist, solange in Bezug auf die Lebensraumsituation keine Änderungen absehbar sind.

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