Das Zelt steht noch und auch ein paar Getränkekisten und Hinweisschilder geben Auskunft, dass hier in Geras im nördlichen Waldviertel vor ein paar Tagen das große Abfischfest stattgefunden hat. Wie jedes Jahr am letzten Oktober-Wochenende und heuer bei Traumwetter erzählt uns Markus Philipp: „Der Andrang war unglaublich. Wir hatten über 750 Essen.“
Vor allem panierten Karpfen, der nach dem Abfischen zwei Wochen in frischem Wasser gehältert worden war. Denn dann „lettelt“ der Fisch nicht, schmeckt also nicht schlammig, wie uns Philipp versichert. Er ist der Förster des Stiftes Geras und auch verantwortlich für die Fischerei und die Karpfenzucht. Außerdem ist er Obmann des Vereines Naturpark Geras, der das jährliche Abfischfest mitorganisiert.
Im Waldviertel ist der K2 kein Berg
Ende Oktober hat das Abfischen begonnen. Heute ist der Steinteich dran, wo Philipp und drei Kollegen gerade damit beschäftigt sind, die Fische, die durchs Schleppnetz gegangen sind, mit Keschern einzusammeln. Es sind sogenannte K2, also zweijährige Karpfen, die in den großen, bereits wieder gefüllten, Teich kommen, um bis zum nächsten Jahr zu K3 und damit zu Weihnachtskarpfen heranzuwachsen. Philipp: „Der ideale Speisefisch ist ein dreijähriger Karpfen mit 2,20 bis 2,50 Kilogramm. Hier haben wir sogenannte K2, also zweijährige Karpfen mit circa 70 Deka (700 Gramm).“
Warum wohnen Karpfen im Himmel?
Der Steinteich ist Teil einer Kette von Teichen mit insgesamt 20 Hektar Wasserfläche. Diese wurden künstlich angelegt – in Geras bereits im Mittelalter – und haben keinen Zufluss. Das Wasser kommt ausschließlich von oben – als Regen oder Schnee, daher der Name: Himmelsteiche.
Beim Abfischen in Geras wird zuerst der letzte und größte Teich in die Thaya abgelassen und dann sofort „zugestellt“ (wieder geschlossen). Das Wasser der oberen Teiche fließt so nach und geht nicht verloren. Eine Maßnahme, die seit einigen Jahren immer wichtiger wird, denn Wasser ist in Geras mittlerweile „das wertvollste Gut“, wie uns Markus Philipp versichert.
Klimawandel ist gut und schlecht
Vor allem sind es die immer trockeneren Winter, die dem Karpfenzüchter im Waldviertel Sorgen bereiten. Denn der Schnee der nicht fällt, fehlt den Teichen im Frühjahr als Wasser. Philipp: „Da die Himmelteiche keinen Zufluss haben, kämpfen wir immer mehr mit dem Wassermangel.“
Die Wärme hingegen ist kein Problem. Denn Karpfen fangen erst ab zehn Grad Wassertemperatur an zu fressen. Philipp: „Je wärmer es ist, umso schneller wächst der Karpfen, vorausgesetzt es ist genug Sauerstoff vorhanden.“ Durch den Klimawandel hat sich die Wachstumsphase der Karpfen im Waldviertel mittlerweile um einen Monat verlängert. Philipp: „Ein K2 hatte vor zehn Jahren im Schnitt ca. 40 Deka, heute sind es 70. Der K3 hat jetzt 2,50 bis 2,70 Kilogramm, früher waren es 2,20.“
In Geras laichen die Karpfen auch und vermehren sich so gut, dass keine Fische zugekauft werden müssen. Anders als die Wildform des Karpfens, die zu den bedrohten Tierarten gehört. Wie du Ur- und Zuchtform auseinanderhalten kannst und mehr über bedrohte Fischarten erfährst du hier.
Weit weniger fett als ein Lachs
Und wie fett ist ein Karpfen wirklich? Mit im Schnitt vier Prozent Fettgehalt ist er zwar fettreicher als eine Forelle (ca. 2,5 %), aber deutlich fettärmer als ein Lachs (ca. 14 %), der deshalb ja auch so reich an Omega-3-Fettsäuren (nomen est omen) ist.
Aber Fett ist nicht gleich Fettsäure wie uns Philipp erklärt: „Je mehr Naturnahrung, umso mehr Omega-3-Fettsäuren.“ In Geras sorgt man dafür durch gezieltes Füttern. Philipp: „Würde ich die Karpfen im Frühling nur Naturnahrung fressen lassen, wäre der Teich bald tot. So kann ich sicherstellen, dass das natürliche Futter das ganze Jahr über vorhanden ist.“ Was aber nicht in den Teich kommt, das ist Mais. Philipp: „Das macht den Karpfen fett.“ Gefüttert wird stattdessen Weizen und Gerste aus der Region.
Schuppler oder Spiegler?
Jetzt haben wir aber selbst Appetit bekommen und nutzen die Chance, die Frage der Fragen für Freunde eines gebackenen „Cyprinus carpio“ mit Kartoffelsalat zu stellen: Schuppler oder Spiegler?
Dazu muss man wissen, dass es Karpfen mit mehr oder weniger vielen Schuppen gibt. Vom vollständig beschuppten Schuppenkarpfen über den weniger beschuppten Spiegelkarpfen bis zum schuppenlosen Lederkarpfen reichen die Zuchtformen. Philipps Antwort: „Wer gerne die Haut mitisst, nimmt besser einen Schuppenkarpfen. Der Spiegelkarpfen hat eine dickere Haut, weil er keine Schuppen hat, die ihn schützen.“
Filet oder Hufeisen?
Für Kinder: geschröpft!
Für einen Spiegler sollte sich entscheiden, wer ihn im Ganzen zubereiten will, „weil er besser ausschaut“, so Philipp, „aber vom Geschmack her ist kein Unterschied.“ Keinen Unterschied sollte es auch machen, ob das Fleisch als Filet oder in Hufeisenform geschnitten wird. Autor und Fachmann sind jedoch überzeugt: Hufeisen schmecken am allerbesten.
Trotzdem greift Philipp seit ein paar Jahren zum Filet und zwar zum geschröpften. Beim Schröpfen wird das Filet eingeschnitten und so die gefährlichen Y-Gräten zerteilt. Beim Kochen lösen diese sich dann auf. Philipp: „Ich bin Vater von zwei kleinen Kindern und da ist der geschröpfte Karpfen ideal.“
Im Stift Geras ist jetzt Hochsaison
Rund 16 Tonnen Speisekarpfen werden pro Jahr im Stift Geras geschlachtet und verkauft. 85 Prozent davon im November und im Dezember. Daher triffst du den Förster und seine Kollegen in dieser Zeit vor allem im ältesten Fischhälter Mitteleuropas aus dem Jahre 1664. Denn dort findet auch der Verkauf statt. Sogar am 24. kannst du von 8 bis 11 Uhr noch frischen Karpfen bekommen. „Kostenswert“ sind aber auch ein geräuchertes Karpfenfilet oder eine frische Schleie.
Die genauen Öffnungszeiten und wo du die Geraser Karpfen sonst noch bekommst, erfährst du HIER.
Lass dir eine Schuppe mitgeben. Wer die bei sich trägt, dem winkt im kommenden Jahr ein Geldsegen!
Und warum Karpfen zu Weihnachten?
Ach ja, die Frage war noch offen. Jedenfalls früher war der Advent eine Zeit des Fastens. Und in der war es Mönchen verboten, Fleisch zu essen. Erlaubt war nur, was aus dem Wasser kommt. Der Heilige Abend bildete den Abschluss und zugleich Höhepunkt dieser Zeit und wurde daher mit einem speziellen Festmahl gefeiert, eben dem Weihnachtskarpfen.