Erwin Riess schreibt, kämpft und politisiert: Als Autor bedient er sich seiner Rollstuhl fahrenden Figur "Herr Groll", die nicht nur kriminelle Machenschaften in seinen Romanen aufdeckt. Er wühlt auch unangenehme, vermeintlich vergessene Episoden der österreichischen Geschichte auf und gibt sie in neuen Zusammenhängen wieder. Mit dem Ergebnis, dass u.a. ein Wolfsberger Schuldirekter ein Verbot für seinen Roman "Herr Groll im Schatten der Karawanken" in Kärnten veranlasste. Als Aktivist setzt er sich für mehr Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrende ein. Doch wie erlebt er den Zugang zur Natur?
Hat Ihre ironische und zum Nachdenken anregende Romanfigur “Herr Groll” bei seinen detektivischen Einsätzen im Rollstuhl bereits Gutes im Sinne der Barrierefreiheit in der Realität bewirken können?
Und ob! Etliche Verbesserungen, Rampen, Behindertentoiletten, Hinweistafeln etc. wurden daraufhin realisiert.
... oder aufgrund der Tatsache, dass er "Unangenehmes" aus der realen Geschichte unter dem Teppich wieder hervorkehrt, einen Anstoß zur Aufarbeitung bei den jeweiligen Schauplätzen (Krems, Wolfsberg, u.a.) geben können?
Auch das, ich toure nach wie vor durch Kärnten und Niederösterreich und und und …
Welche Hürden wurden für RollstuhlfahrerInnen bereits aufgrund Ihrer politischen Arbeit beseitigt?
Hier kann ich das Volkstheater Wien, Schauspielhaus Wien, diverse Autobahnraststätten, Museum für bildende Kunst – Schillerplatz, etliche Restaurants, so das Soleo in Krumpendorf, heurigen Lentner Richard und Fuchs in Floridsdorf, Buchhandlungen etc. es gibt aber auch Rückschläge: vorher barrierfreie Lokale haben plötzlich wieder Stufen oder keine Behindertentoiletten mehr, z.b. das Restaurant Gass-Tuttendörfl bei Korneuburg.
Welche österreichische Region setzt Barrierefreiheit erfolgreich um und bietet barrierefreie Naturerlebnisse?
Keine. Tulln hat einen Baumwipfelweg, aber im ganzen nördlichen Waldviertel gibt es kein einziges behindertengerechtes Quartier, in den Bergen gibt es ein paar zugängliche Stellen, so die Schischanze Berg Isel in Innsbruck.
Wo hingegen scheint das Thema “Barrierefreiheit” noch gar nicht angekommen zu sein? Sehen Sie regionale Trends oder kann man hier sogar salopp zwischen Stadt und Land unterscheiden?
Es ist überall gleich bescheiden. Innsbruck ist besser als Linz, Klagenfurt und Salzburg sind am schlechtesten. 90 % aller Restaurants und Hotels weisen Barrieren auf. Die „Nordsee“ hat auf Stehtischche umgestellt, barrierefrei Seezugänge werden beseitigt, wie zum Beispiel in Pörtschach-Pritschitz etc.
Wo ist Ihr persönliches Lieblingsplatzerl in der Natur?
Immer an der Donau (ich bin in den Kremser Auen aufgewachsen), vorzugsweise unterhalb von Wien – Wildungsmauer, Deutsch-Altenburg etc.
Was wünschen Sie für die Zukunft im Sinne eines “barrierefreien” Naturerlebnisses?
Ich wünsche mir bezüglich Barrierefreiheit schon lange nichts mehr. Wir müssen gegen alle Widerstände Zugänge erkämpfen. Wünschen hilft da nichts. Und salbungsvolle Worte kann ich nicht mehr hören. In einer Zeit, in der Sonderschulen wieder ausgebaut werden, immer mehr behinderte Menschen arbeitslos sind etc. verschlechtert sich die Lage für uns. Barrierefreiheit ist gebaute Politik – pro oder kontra Inklusion. Und was mit einer Gruppe passiert, die wieder stärker ausgeschlossen wird, wissen wir ja aus der Geschichte. Alles was war kann sich auch wiederholen. Mehr barrierefreie Naturerlebnisse findest du hier.
Zum Autor:
Geboren 1957 in Wien, aufgewachsen in der Krems, Studium der Gesellschaftswissenschaften in Wien, Rollstuhlfahrer nach Rückenmarktumor seit 1978, 1983-1994 in der Wohnbauforschung des Wirtschaftsministeriums, wissenschaftlicher Referent für Barrierefreies Bauen, seither freier Schriftsteller, Aktivist in der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung behinderter Menschen. Arbeitsaufenthalte in Ungarn, Zypern und New York.
Riess schrieb 13 Theaterstücke (zuletzt Der Zorn der Eleonore Batthyány, Winterpalais im Belvedere/Wien, 2014) sowie Hörspiele, Essays und Reportagen (Literatur&Kritik, Wespennest), seit 1986 regelmäßiger Mitarbeiter von KONKRET.
Groll-Storys erscheinen im AUGUSTIN und der JUNGEN WELT. (Quelle: Otto Müller Verlag)